Deschooling – Essentieller Prozess auf dem Weg zum Freilernen

Deschooling – Essentieller Prozess auf dem Weg zum Freilernen

Was ist Deschooling?

Deschooling, das „Entschulen“, beschreibt im praktischen Sinne den mentalen Prozess, den ein Mensch durchläuft, wenn er/sie das gängige Schulsystem verlässt und Freilerner (Unschooler) oder Homeschooler wird. Doch er betrifft nicht nur diesen einzelnen Menschen, sondern i.d.R. die gesamte Familie, die diesen Menschen begleitet, der/die nun außerhalb der Institution Schule leben wird.

Der Ursprung des Deschooling und Schulkritik

Der Begriff „Deschooling“ wurde vom Philosophen und Autor des Buches „Deschooling Society“* Ivan Illich geprägt. Das Buch erschien 1971 und entstand aus der 68er-Bewegung, die bereits begann das herrschende Schulsystem zu kritisieren. Andere frühe Kritiker des Schulsystems sind u.a. John Holt, Paul Goodman, Everett Reimer und Ian Lister, die wichtige Werke für alle Interessierten zu bieten haben, ebenso wie die heutigen Kritiker um die Stern-Familie (Arno, Bertrand und André Stern), John Taylor Gatto, sowie der Neurobiologe und Autor Gerald Hüther.

Die Kritik der damaligen Deschooler am Schulsystem ist heute aktueller denn je. Die Institution Schule vermittelt ungefähr so viel Bildung wie ein Pfarrer akkurater Ansprechpartner für Familien- und Eheberatung sein kann.
Denn Vermittlung von Bildung ist gar nicht das vorrangige Ziel der Institution Schule, auch wenn dies als Daseinsberechtigung der Schule eingesetzt wird.

Zu erkennen ist dies recht simpel daran, dass vielerorts keine anderen Bildungswege zugelassen werden neben der Schule und dies zu einer Monopolstellung der Institution Schule führt, die über weitere Bildungswege und Berechtigungen entscheidet. Kinder werden ab einem bestimmten Alter der Indoktrination der Regierung, die grad an der Macht ist, ausgesetzt, ohne die Möglichkeit nach links und rechts zu blicken. Schule ist somit immer politisch. Die Mehrheit der Menschen, die sie durchlaufen, werden von ihr zu Menschen gemacht, die geführt werden müssen, während einige wenige ausgebildet werden, um diese zu führen.

Doch hier soll es nicht vorrangig um die Kritik am Schulsystem gehen. Für Interessierte: Hier findest du unsere Gründe für’s Freilernen und so einige Kritikpunkte am Schulsystem des Autoren Ian Lister.

Weiter geht’s mit Deschooling heute:

Der Prozess des Deschooling heute

Heutzutage meint Deschooling in der Praxis den Prozess, der durchlaufen wird, wenn ein Mensch das klassische Schulsystem verlässt. Vom Schooling („beschult werden“) führt nur der Weg über das Deschooling („sich entschulen“) zum Unschooling (Freilernen) oder manch freiere Art des Homeschooling (Heimunterricht). Außer natürlich für Menschen, die niemals beschult wurden.

Oft geht diese Phase des Übergangs mit vermeintlicher Strukturlosigkeit, Langeweile und Schwierigkeiten sich in die neue Situation einzugewöhnen einher. Ein beschulter Mensch, der es von kleinauf an gewohnt war, gesagt zu bekommen, was er zu tun hat, dem ein Rahmen gesteckt wurde und der nicht selber wählen durfte, womit er sich beschäftigt, ist häufig von der neuen Freiheit anfangs überfordert.

Je nach Dauer der Beschulung, Alter des Menschen und Persönlichkeitstyp kann diese Phase von einigen Monaten über mehrere Jahre andauern. Das Deschooling ist abgeschlossen, wenn der Mensch aus sich selbst heraus gelernt hat, sich eine eigene Struktur zu geben (die nicht mit den Ansichten anderer übereinstimmen müssen, was eine gute Struktur ist!), das schulische Denken verlernt hat und in der Lage ist, sich selbstbestimmt zu bilden.

Deschooling in der gesamten Familie

Deschooling betrifft allerdings nicht nur das Kind, das aus dem beschulten Leben ausbricht, sondern sein gesamtes Umfeld, insbesondere die engsten Bezugspersonen wie die eigene Familie. Durchlaufen die Eltern nur in der Theorie diese Phase, also kritisieren sie eventuell das Schulsystem, zeigen aber nicht in ihrem Alltag, dass sie Vertrauen in ihren neuen Weg und ihre Kinder haben, so werden sie selbst zum häufigsten Fallensteller für ihre eigenen Kinder.

Wenn sich Eltern dazu entscheiden, dass ihre Kinder niemals eine Schule aus Zwang besuchen sollen, dann mögen diese Kinder den Prozess des Deschooling nicht nötig haben. Die Eltern, die selbst noch beschult wurden, durchlaufen das Deschooling aber trotzdem, da auch sie erstmal Vertrauen in sich und ihre Entscheidung gewinnen müssen, die Freiheiten ab vom durchschnittlichen Familienalltag beschulter Familien in ihren Familienalltag integrieren lernen, um ihren Kindern (und sich selbst!) das Umfeld zu erschaffen, dass diese benötigen, um sich optimal zu entwickeln.

Eltern, die sich selbst noch im mentalen Prozess des Deschooling befinden, neigen dazu:

  • die Leistungen ihrer Kinder mit denen beschulter Kinder zu vergleichen (insbesondere in den ersten Jahren, wenn den Eltern oft Lesen, Schreiben, Rechnen von vorrangiger Wichtigkeit ist),
  • zu versuchen dem Kind einen Weg vorzugeben, indem sie z. B. meinen zu wissen, was wichtig für das Kind zu wissen ist, wann es mal „mehr tun“ sollte,
  • indem sie mehr erklären als vom Kind gefragt wird, was dazu führt, dass das Kind belehrt wird und in der Folge weniger fragt, weil es zu viele für es selbst irrelevante Informationen um die Ohren gehauen bekommt,
  • sich selbst nicht für die hellste Kerze auf der Torte halten und deshalb zweifeln, ob sie ihre Kinder optimal begleiten können.

Insbesondere der letzte Punkt erinnert mich an folgendes Zitat:

Deschooling
„Don’t question your ability to teach your child. Question putting your child into the same system that left you feeling incapable of teaching your child.“ – Unbekannt

„Stelle nicht deine Fähigkeit in Frage, dein Kind zu begleiten. Stelle in Frage dein Kind in das selbe System zu stecken, das dich fühlen/glauben lässt, dass du unfähig bist dein Kind zu begleiten.“

Ich mag an dieser Stelle teaching mit begleiten und nicht mit unterrichten übersetzen, da wir als Freilerner eben nicht unterrichten. Dem Kern der Aussage tut dies aber keinen Abbruch:

Stellt ihr einen dieser Punkte bei euch fest (das tun wir wohl alle dann und wann mal), dann lasst euch nicht davon entmutigen, sondern arbeitet verstärkt an euren Zielen und vertraut. Vertraut euch selbst und vertraut euren Kindern. Nichts einfacher (oder schwieriger) als das.

John Holt, Autor von „How Children Learn“*:

„Alles was ich in diesem Buch sage, kann in zwei Worten zusammengefasst werden:

Vertraut Kindern.

Nichts könnte einfacher oder schwieriger sein. Schwierig, weil wir, um unseren Kindern zu vertrauen, erst lernen müssen uns selbst zu vertrauen, obwohl die meisten von uns als Kinder lernten, dass man uns nicht trauen könne.“

Deschooling
„All I am saying in this book can be summed up into two words: Trust children. Nothing could be more simple, or more difficult. Difficult because to trust children we must first learn to trust ourselves, and most of us were taught as children that we could not be trusted.“ – John Holt aus „How Children Learn“*

Was euch legal aus der deutschen Schulpflicht befreit, liest du in Raus aus der Schulpflicht – jetzt reisen und auswandern ohne Schule.

Weiters zum Thema Freilernen, Umsetzung im Alltag, Rechtliches und weitere Tipps findest du in unserem Blog.


Das große FAQ Unschooling / Freilernen

Das große FAQ Unschooling / Freilernen

Ein Campingplatz irgendwo in Rumänien. Es ist Sommer.

Was unser Alltag ist (wir sind zum Wäschewaschen auf diesem Platz gelandet), ist der Urlaub vieler anderer Menschen, denen wir begegnen. Nicht selten treffen wir auch hier auf andere Deutsche, die nach den ersten Minuten schon feststellen, dass wir nicht zu den üblichen Urlaubern gehören. Unweigerlich werden die Fragezeichen größer, wenn das Thema Schule bzw. Unschooling / Freilernen auftaucht. Auch heute wieder. Inspiriert von diesem wirklich guten Gespräch entsteht nun unser FAQ zum Freilernen / Unschooling.

Ein paar der immer wiederkehrenden Fragen von unseren (teilweise) irritierten, aber interessierten Mitmenschen oder besorgten Familienmitgliedern für euch beantwortet:

Häufigste Sorgen

Wie lernen Freilerner, wenn sie keine Schule besuchen?

Dieses Lernen muss nicht so aussehen, wie wir uns das vorstellen oder wie wir es kennen. Lernen bedeutet für uns nicht Hefte aufzuschlagen und Übungen nach Vorgabe darin zu machen. Lernen ist Spiel. Das Leben ist lernen. Damit die Wissbegierde, die all unsere Kinder von Natur aus mitbringen, nicht zerstört wird, dürfen wir sie nicht von außen mit Informationen unter Druck (z. B. Leistungsdruck, Gruppenzwang, Belohnung und Strafe etc.) zuballern.

Doch genau das wird in deutschen Schulen unserer Meinung nach gemacht. Da bleibt am Nachmittag zum einen wenig Zeit, um sich tief den eigenen Interessen zu widmen und auch zu wenig Zeit, um diese überhaupt erst zu entwickeln. Zudem wird alles, was irgendwie mit Schule in Zusammenhang gebracht werden könnte, nur noch mit der Kneifzange angefasst.
Mal ehrlich, wer kennt das nicht aus seiner eigenen Schulzeit?

Freilerner lernen also vom Leben selbst. Ohne Vorgabe von Themen, sondern ganz nach den eigenen Interessen. Sie lernen genau das, was für sie gerade dran ist. Und das in einem irren Tempo, weil sie alles dazu aufsaugen wie ein Schwamm das Wasser. Dieses Lernen findet aus intrinsischer Motivation heraus, also vom Lernenden selbst aus. Hier ist der Mensch kein Objekt, in den etwas „hineingestopft“ wird, das da vielleicht gerade gar nicht hinein will. Der jeweilige Mensch entscheidet hier selbst, was hinein soll und wann und in welchem Umfang und genau das ist die Selbstbestimmung, die wir anstreben. Mögt ihr mehr über unseren Weg erfahren?

Freilernen (Unschooling) – Weg in die Freiheit

Wie und wann lernen eure Kinder lesen und schreiben?

In deutschen Schulen lernen Kinder ab 6 Jahre zu lesen und zu schreiben. Nicht, weil jedes einzelne Kind dazu bereit wäre in dem Alter, sondern weil das Schulsystem mit dem Versuch der Massenbildung – nicht nach Maß – sich selbst begrenzt. Am besten geht das, wenn man Informationen geschrieben an die Masse verteilt, weil man so eine größtmögliche Anzahl Menschen erreicht und alles weitere mit diesem Werkzeug (nichts anderes ist Lesen) im Klassenzimmer theoretisch erlernt werden kann. Der Bezug zum eigentlichen Leben geht so verloren. Wie und wann in Schulen lesen und schreiben beigebracht wird, hat nichts damit zu tun, was das beste für die einzelnen Menschen wäre, sondern nur damit, was das beste für das System Schule ist.

Lesenlernen ist für unsere Kids höchst individuell und beide Kids verfolgen daher unterschiedliche Ansätze. Genau sagen, wie sie es im Speziellen lernen, können wir gar nicht, da nicht alle Schritte offen sichtbar sind. Das Ergebnis sehen wir dann im Alltag, wenn eines der Kinder plötzlich etwas liest oder schreibt und uns immer wieder mit neuen Fähigkeiten und Wissen überrascht. Nämlich genau dann, wenn sie selbst dazu bereit sind.

Manche Kinder können plötzlich lesen und der Lernprozess war nie sichtbar. Andere lernen es über viele Jahre in kleinen Schritten, sichtbar für andere. Manche erkennen Wörter an ihren einzelnen Silben oder Buchstaben, andere verinnerlichen Wörter als Ganzes. Manche stellen viele Fragen und andere beobachten im Stillen.

Lesen wird genau dann wichtig für ein Kind, wenn es selbst merkt, dass es sich mit dieser Fähigkeit das Leben erleichtern kann. Nicht mehr warten müssen, dass ein Erwachsener vorliest, mit Freunden kommunizieren, einen Laptop bedienen sind nur einige Beispiele.

Freilerner finden vieles neben Büchern und Comics zum Üben: Straßenschilder, Werbetafeln, Namen von Geschäften, Nummernschilder, Spiele, Textnachrichten von Oma, Lebensmittelverpackungen, um nur einige zu nennen.

Es gibt ja schon wichtige Themen wie z.B. Rechtschreibung. Wie lernen eure Kinder sowas beim Freilernen / Unschooling?

Es gibt viele wichtige Themen. Menschen lernen die Dinge, die für sie dran sind, die für sie grad Bewandtnis haben. Und die dann richtig gut und schnell, wenn die intrinsische Motivation (die Motivation aus einem selbst heraus ohne Druck oder Antrieb von außen) sie antreibt.

In unserem Beispiel wäre es beim Freilernen / Unschooling so:
Rechtschreibung werden sie dann lernen, wenn andere Menschen Probleme haben, die geschriebenen Texte zu lesen und verstehen. Die eigene Motivation wächst immer dann, wenn die Notwendigkeit dazu besteht und ihnen der Sinn deutlich wird. So wie Kleinkinder lernen deutlich zu sprechen, weil sie merken, dass sie sonst nicht verstanden werden, so lernen Freilerner richtig zu schreiben, weil sie sonst nicht richtig gelesen werden. Zudem lernt sich Rechtschreibung insbesondere durch’s Lesen selbst. Was das Auge immer wieder sieht, kann es sich so merken.

Jetzt sagt ihr: „Aber mein Sohn liest gar nicht gern.“ Das mag sein. Aber warum ist das so? Wurde er eventuell zu einem Zeitpunkt gezwungen es zu lernen, als er noch gar nicht selbst das Bedürfnis danach hatte?
Dies ist einer der Hauptgründe, warum Menschen heutzutage Probleme mit dem Lesen oder schlichtweg keinen Bock drauf haben. Sie haben das Lesenlernen als Pflicht/Zwang wahrgenommen. Es war nichts, das sie zu dem Zeitpunkt speziell interessiert hat oder worauf sie besondere Lust verspürten oder es wurde ihnen durch ständige Vorgaben und Wiederholungen auf schon 30x kopierten Aufgabenblättern madig gemacht.

In der Folge meiden sie dann dieses Feld und nutzen ihr mit Müh und Not Erlerntes nur für das wirklich Nötigste. Durfte ein Mensch den Zeitpunkt und auch das „Wie“ selber wählen und erkennt den Nutzen daraus für sich selbst, so entwickelt sich gar nicht erst eine Abneigung und der Mensch bleibt offen für Texte jeglicher Art.

Kann man als Freilerner / Unschooler einen Schulabschluss machen?

Einen Abschluss kann man in Deutschland als sog. Externe an Schulen machen. Wenn der Mensch das selber möchte, wird sich entsprechend darauf vorbereitet und sich für die Prüfung angemeldet.

Heutzutage ist ein Abschluss bei der Berufswahl allerdings nicht mehr zwingend erforderlich. Das Ziel ist nicht mehr bei allen eine gut bezahlte Anstellung zu finden, sondern sich mit dem selbstständig zu machen, was ihnen liegt. Zudem beginnen auch Arbeitgeber und sogar Universitäten zu verstehen, dass Noten auf einem Blatt Papier nichts über die Person aussagen, dessen Name oben drauf steht, so dass ein Abschluss in Zukunft nicht mehr den Stellenwert haben wird, den er heute vermeintlich noch hat. Kreative, offene und hinterfragende Köpfe werden als Mitarbeiter schon vielerorts sehr geschätzt.

Handbuch zur externen Prüfung

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Können Menschen, die mit Freilernen / Unschooling groß geworden sind, ganz normal in unserer Gesellschaft leben oder leben alle in Parallelgesellschaften und können auch nur selbstständig Geld verdienen?

Jedem Menschen steht es frei, die Art der Gesellschaft zu wählen, die ihm zusagt. Auch Unschooler können ganz normal am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, sofern sie es möchten und als Angestellte in den gängigen Jobs tätig werden. Absolut notwendige Abschlüsse können erlangt werden, sollten sie sich dafür entscheiden (siehe Frage oben drüber).

„Ich bin sehr froh, dass meine Eltern mich dazu gezwungen haben, einen Uni-Abschluss zu machen und nicht abzubrechen. Das bildet einen ja auch charakterlich, wenn man etwas zu Ende bringt, auf das man keine Lust hat und das man nicht braucht.“
Woher nehmen eure Kinder solche Erfahrungen?

Gegenfrage: Tut es das? Was hat man gewonnen, wenn man etwas zu Ende bringt, mit dem man eh nichts anfangen möchte? Bildet es einen charakterlich nicht viel positiver, wenn man sich entgegen der weitläufigen Meinung, man sei „gescheitert“ gar nicht als Versager fühlt, sondern sich darüber freut, dass man keine weitere Zeit mit etwas verschwendet, was man eh nicht machen will? Und diese Zeit vielleicht sogar dafür nutzt, etwas zu tun, was den eigenen Bedürfnissen und Interessen eher entgegen kommt? Wer entscheidet, was scheitern ist?

Gibt man die Verantwortung nicht auch dabei an andere ab, wenn man erwartet, dass sie einen zu etwas zwingen sollten, was man auch selbst tun könnte, wenn man nur wollte?

Ja, es bildet einen charakterlich, wenn man Dinge tut, die man nicht möchte und nicht braucht. Die Frage dabei ist aber viel mehr, ob diese charakterliche Bildung in eine negative Richtung geht oder in eine positive.

Ohne Schule fehlt den Kindern aber doch die nötige Sozialisation, oder nicht?

Menschen werden ihr leben lang „sozialisiert“. Das passiert immer dann, wenn sie auf andere Menschen treffen. Dabei ist es egal, wie alt diese Menschen sind. Sozialisation findet mit der Oma statt und mit dem Nachbarsbaby, mit dem Kassierer und der Treckerfahrerin, mit den Nachbarskindern, den Kindern aus dem Sportverein oder Pfadfindern, der Familie im Gesamten und dem gesamten Umfeld dieses Kindes. Für eine gute Sozialisation empfinde ich Schulen tatsächlich als kontraproduktiv. Jeden Tag im Wettstreit, Ältere gegen Jüngere, Schüler gegen Lehrer, wenig Zeit für echte Freunde und Interessen, dazu Mobbing und Bullying.

Nein, für eine gute Sozialisation bedarf es keiner Schule. Mein persönlicher Schulweg war diesbezüglich für mich auch richtungsweisend.

Man muss aber doch lernen sich in Gruppen einzufügen!?

Muss man das? Wer sagt das? Und warum? Es gibt Menschen, die tun das sehr gerne, andere wiederum nicht. Wir sind nicht alle gleich und manchen wird es leichter fallen und anderen nicht. Deshalb sind nicht die einen richtig und die anderen falsch. Wer gerne in Gruppen lebt, wird das tun und dort seinen Platz finden. Wer das nicht so gern hat, lässt es bleiben und wird auch seinen Weg gehen. Gruppen finden sich überall in unserer Gesellschaft. Eine Schule ist dafür nicht die einzige Möglichkeit und kein Garant, dass ein Mensch lernt sich in eine Gruppe einzufügen.

Aber muss nicht jeder mal Dinge tun, auf die man keine Lust hat?

Muss man das? Wer sagt das? Und warum? Soweit ich mich erinnere, können Erwachsene selber entscheiden, was sie gerne arbeiten möchten, wann sie aufstehen, was sie mit ihrem Geld anfangen, ob sie überhaupt morgens aus dem Bett steigen, jeden Tag Pizza essen, den Job kündigen, wenn man keinen Bock mehr drauf hat u.s.w.

SchülerInnen dürfen in Deutschland nicht kündigen. Können sich ihre Kollegen nicht aussuchen. Nicht mal das Arbeitsfeld und müssen auch noch fragen, ob sie mal aufs Klo dürfen. Warum messen wir mit zweierlei Maß und zwingen unsere Kinder zu etwas, das wir als Erwachsene nicht freiwillig tun würden?

Und ja klar gibt es Situationen, die wir gerne anders hätten. Unsere Kids möchten manchmal auch lieber ein Eis zum Frühstück, anstatt ein gesundes Müsli. Oder müssen mal Zeug aufräumen, wenn Platz für anderes frei wird, können nicht immer entscheiden, was gespielt wird, sondern müssen auch aushalten, wenn andere Kinder was entscheiden möchten… Diese Situationen verhindern wir ja nicht, indem die Kinder nicht in die Schule gehen. Die kommen von ganz alleine und steigern die Frustrationstoleranz eines jeden Menschen. Warum künstlich noch mehr davon erzeugen?

Aber ich bin doch kein Lehrer, ich kann doch nicht alles wissen! Woher nehmt ihr das ganze Wissen?

Keine Sorge, ihr müsst nicht alles wissen, um die Kids optimal im Unschooling zu begleiten. Unser Ziel ist ja auch, den Kids zu zeigen, wo und wie sie an die Informationen herankommen, die sie benötigen. Und genau das leben wir ihnen vor, wenn wir selbst etwas nicht wissen (Man kann ja nicht alles wissen, auch Lehrer nicht!). Wir wissen nicht alles und es ist keine Schande, wenn man etwas nicht weiß. Es ist eher eine Schande, vorzugeben etwas zu wissen, was man nicht weiß. 😉

Wir wenden uns bei Bedarf an Bücher, ans Internet, Dokus und Fachleute (offizielle und inoffizielle), wenn wir etwas wissen möchten und erschaffen uns so eine breite Palette an Möglichkeiten.

Ist eure Motivation für’s Freilernen / Unschooling, den Kindern euer eigenes Weltbild überzustülpen?

Kurz: Ja und nein.

Lang: Ja, weil wir es als unsere Aufgabe als Eltern erachten, unseren Kindern unsere Werte zu vermitteln. Wir glauben, dass es Aufgabe aller Eltern ist, ihren Kindern das auf ihrem Lebensweg mitzugeben, was sie selbst für wertvoll, moralisch oder allgemein ethisch halten.

Nein, weil wir unseren Kindern vorleben, dass wir alles hinterfragen und auch sie uns hinterfragen dürfen und sollen. So können sie sich jederzeit auch von unserem Weltbild abwenden, weil sie durch’s Hinterfragen auf andere Ergebnisse gekommen sind als wir. Sie werden nicht von einem System in ein anderes gepresst, sondern aus den Systemen herausgenommen. Sie verschaffen sich einen Überblick und können frei entscheiden, ob sie Teil eines Systems sein möchten oder nicht und wenn doch, von welchem.

Und: Es ist immer Aufgabe der Schule, den Kindern das Weltbild zu vermitteln, das die jeweilige Regierung gerade als die für sich förderlichste hält. In Schulen passiert nun also auch ein Überstülpen von Weltbildern, aber eben oft ohne Kenntnis oder Bewusstsein dafür der Eltern.

Des weiteren denke ich nicht, dass man wirklich frei aufwachsenden Kindern auch nur irgendwas überstülpen kann, das sie nicht wollen. Geht einfach nicht. 😀

Warum sind Freilerner / Unschooling – Familien oft gegen alles mögliche wie Schulmedizin, warum lehnen sie so vieles ab, was gängige Praxis ist?

Ob das oft der Fall ist, kann ich nicht beurteilen. Uns sind sowohl ganz „durchschnittliche“ Freilernerfamilien bekannt, aber ebenso viele, auf die die Beschreibung zutrifft.

Wer einmal begonnen hat ein bestimmtes System zu hinterfragen und daraus ausgestiegen ist, beginnt oft auch weitere Systeme zu hinterfragen. Je nachdem wie das Ergebnis der Recherche lautet, wird nun also auch aus weiteren System ausgestiegen. Dazu muss nicht der Ausstieg aus dem Schulsystem die Zündung dieser Kettenreaktion auslösen. Ich denke, es ist egal, aus welchem System man zuerst aussteigt.

Manche Menschen erleben die Grenzen der Schulmedizin oder eine traumatische Geburt ihres Kindes hinterlässt tiefe Spuren in der Familie. Sie beginnen nun zu hinterfragen. Nach ihrer Recherche entscheiden sie sich Stück für Stück aus dem staatlichen System zu Krankheit und Gesundheit auszusteigen. Oder eben auch nicht! Da sie nun für mögliche fehlerhafte Systeme ein Auge bekommen haben und kritisch überprüfen, erkennen sie eventuell das Schulsystem oder das Rentensystem oder irgendein anderes System für sich als auch fehlerhaft und steigen daraus aus.

Ein Domino-Effekt?

Was ist mit Kindern aus „bildungsfernen“ Schichten mit Eltern in Schicht- oder Vollzeitjobs? Würde es keine Schulpflicht geben und Unschooling erlaubt, würden diese eventuell vernachlässigt und ungebildete Analphabeten bleiben.

So sehr ich diese Sorge nachvollziehen kann, so ändert die Schulpflicht nichts am Schicksal dieser Kinder. Es gibt auch mit der Schulpflicht Leid in Familien. Dieses Leid wird es auch ohne Schulpflicht geben. Nur weil es keine Schulpflicht gibt, heißt das ja nicht, dass alle Eltern ihre Kinder von nun an zu Unschoolern machen. Es wird ja lediglich die Wahl gelassen, die Kids ins Schulsystem zu schicken oder eben nicht.

Zudem behaupte ich, dass sich Menschen, die sich keine intensiven Gedanken um Bildung machen, eher geneigt sind, ihre Kinder in Schulen zu geben, weil sie glauben, dass ihre Kids damit eine bessere Bildung erhalten als sie sie selbst bekamen. Menschen, die sich intensiv mit Bildung auseinandersetzen, die werden andere Wege wie z. B. Unschooling oder alternative Schulformen suchen und diese Kinder sind dann sehr wahrscheinlich auch nicht der Gefahr der Vernachlässigung ausgeliefert, weil eh ein anderer Denk- und Lebensansatz verfolgt wird.

Zudem gebe ich zu bedenken, dass jetzt bereits tausende (wenn nicht Millionen) Kinder in Deutschland unter der Schulpflicht leiden. Können wir von all diesen Kindern verlangen, dass sie u. U. traumatische Kindheiten erleben aufgrund der Schulpflicht? Die das einfach aushalten müssen für diejenigen, deren Eltern sich nicht sehr mit dem Thema Bildung befassen? Wo fangen wir da an Leid zu bewerten und wo hört es auf?

Was ist, wenn eure Kinder feste Freundschaften aufbauen möchten und wieder sesshaft werden wollen?

Unsere Kinder sind auch unterwegs durchaus in der Lage feste Freundschaften zu bilden. Wir suchen unsere Ziele nicht nur nach Bildungsmöglichkeiten aus, sondern auch danach, ob Freunde vor Ort sind, so dass sie nicht immer nur neue Kinder kennenlernen, sondern auch mit gewohnten Freunden sein können. Sollte unser Lebensstil ihre Bedürfnisse irgendwann nicht mehr befriedigen, dann ist es für uns selbstverständlich eine Option wieder zeitweise sesshaft zu werden oder unsere Art zu reisen an unsere veränderten Bedürfnisse anzupassen. Wir nehmen das Leben wie es kommt.

Dürfen eure Kinder in die Schule, wenn sie das möchten?

Ein absolutes Ja. Sollte der Wunsch aufkommen, mal eine Schule auszuprobieren, werden wir das unseren Kindern ermöglichen. Bisher hält sich dieser Wunsch sehr in Grenzen bzw. geht gegen Null. Sie treffen viele Kids unterwegs, die bereits Schulen besucht haben und von ihren Erfahrungen berichten. Das alleine sorgt schon dafür, dass sie aktuell nicht erpicht drauf sind und das Unschooling weiterhin bevorzugen.

Aus unserem Alltag

Wie geht ihr mit Situationen beim Unschooling um, die ihr nicht alleine meistern könnt? Wenn das Kind z. B. ein Instrument lernen möchte, das ihr ihm nicht selbst beibringen könnt oder eine Teamsportart ausüben möchte?

Ganz einfach: Wir holen uns Hilfe. Wir wissen und können nicht alles, aber wir wissen, wie man Menschen oder Informationen findet, die uns helfen können. Möchte eines unserer Kinder von sich aus ein Instrument lernen, so zeigen wir ihm die uns bekannten Möglichkeiten auf, die auch zum jeweiligen Alter und Typ passen (z. B. selber ausprobieren, Bücher, Internetrecherche, Online-Videokurs, „echter“ Mensch, der online oder offline lehrt).

Im Falle einer Teamsportart suchen wir ein Team, von dem es Teil werden kann. Dieser Punkt ist auf Reisen allerdings manchmal schwierig. Nicht immer hat man im Land so viele Kontakte, dass man eine Fußballmannschaft aufstellen kann oder ist lange genug an einem Ort, so dass sich eine Vereinsmitgliedschaft lohnt. Wenn ein Interesse sehr groß wird und wir uns nicht mehr in der Lage fühlen, das Interesse „bedienen“ zu können aufgrund unseres Lebensstils, dann werden wir auch am Lebensstil feilen. Bisher kam es aber noch nicht dazu, auszuschließen ist das jedoch nicht. Wir sind und bleiben flexibel und passen unser Leben an unsere Bedürfnisse an.

Ich bin alleinbegleitend. Wie kann ich meinen Alltag im Unschooling organisieren und Kinder und Job unter einen Hut bringen, wenn die Kinder nicht durch die Schule betreut werden?

Familien mit einem Elternteil brauchen natürlich mehr Organisation, als Familien, in denen ein Elternteil sich um den Job kümmern kann und das andere betreut. Wir machen das zum Beispiel meist im Wechsel, aber auch ab und an zeitgleich, wenn es mal nicht anders geht.

Natürlich betrifft die Organisation eines für alle passenden Unschooling-Alltags nicht nur alleinbegleitende Elternteile. Hier ein paar Schräubchen, an denen alle drehen können, die sich fragen, wie ein Alltag ohne Fremdbetreuung funktionieren kann:

1. Netzwerke schaffen

Findet Gleichgesinnte in eurer Umgebung (ob nun in fester Wohnung oder auf Reisen) und teilt euch die Betreuung bei noch jüngeren Kindern für ein paar Stunden am Tag auf. Ab 6 Jahre gehen schon viele (nicht alle) gerne mal woanders hin zum Spielen oder u. U. auch alleine in den Sportverein etc. Ältere Kinder benötigen natürlich nicht mehr so intensive Betreuung und sind auch mal sehr froh, wenn sie was alleine machen können. Netzwerke.

2. Den passenden Job finden

Findet einen Job, bei dem ihr zeitlich und womöglich auch örtlich ungebunden seid und den ihr nicht 8h pro Tag ausüben müsst, um für euer Einkommen zu sorgen. Was jetzt für viele wie ein schlechter Scherz klingt, ist aber durchaus mein Ernst. Es gibt diese Jobs. Es ist nur kaum wer gewillt tatsächlich die Verantwortung zu übernehmen und die Arbeit zu machen, weil es nun mal keine offiziell anerkannten Tätigkeiten sind. Ein paar Ideen findest du hier: Ortsunabhängig arbeiten ist (k)ein Hexenwerk – 5 Ideen für deine Unabhängigkeit. Darüberhinaus gibt es selbstverständlich noch weitere Möglichkeiten. Bleibt offen, werdet selbst zu Freilernern und eignet euch das an, was ihr dazu braucht.

3. Langeweile zulassen

Die meisten Kinder heutzutage kennen kaum Langeweile. Ständig bekommen sie Reize von außen. Entweder wird ihnen ein Tagesablauf auferlegt, der ihnen keine Zeit für Langeweile lässt oder sie lenken sich bei den ersten ungemütlichen Gedanken an Langeweile direkt mit Unterhaltung ab oder fordern Unterhaltung durch die Eltern/TV/Smartphone ein. Sind wir mal ehrlich: Gelernt haben sie es von den besten, nämlich ihren eigenen Eltern, die ebenfalls gerne zum Smartphone greifen oder meinen sich abends mit TV berieseln lassen zu müssen, wenn man „nichts zu tun“ hat. Hast du mal versucht dich eine Stunde lang auf einen Stuhl zu setzen und nichts zu tun?

Langeweile aber ist essentiell für Kreativität. Erst wenn ein Mensch Langeweile zulässt und aushält, wird das Hirn aktiv und sucht sich selbst eine kreative Beschäftigung, wenn keine von außen kommt. Das dauert meist so 20min und je häufiger „geübt“, desto schneller springt das Gehirn auf „innen“ anstatt „außen“ zu verweilen. Mit dieser Kreativität entwickelt sich Selbstwert. Anerkennung und Zustimmung durch Andere braucht dieser Mensch immer weniger und weniger.

Lasst also ruhig Langeweile zu. Wenn es um einige Stunden Arbeit geht, die erledigt werden muss, sei es um Geld zu verdienen oder andere alltägliche Organisation, dürft ihr dieser Arbeit nachgehen und spielt nicht das Entertainmentprogramm. Die Unterhaltung eurer Kinder liegt nicht in eurer Hand. So könnt ihr auch erholter und zufriedener wieder in gemeinsames Spiel mit euren Kindern gehen.

Was tut ihr, wenn euer Kind sich brennend für ein bestimmtes Thema interessiert und gerne ein Buch oder anderes Material „aufsaugen“ möchte? Wo kriegt ihr das auf Reisen her?

Unterwegs ist die Materialbeschaffung meist mit etwas mehr Aufwand verbunden, weil wir ja nicht alles direkt in der richtigen Sprache vorfinden. Wenn möglich, werden Bücher als eBooks gekauft (was natürlich noch den Vorteil hat, dass sie platzsparend sind). Geht das nicht oder ist es nicht sinnvoll, so bestellen wir online. Entweder an eine lokale Adresse, die wir uns organisieren müssen oder, wenn es mehrere Sendungen sind, zu unserer Verwandtschaft nach Deutschland, die dann wiederum alles zusammen an eine lokale Adresse bei uns versendet. Manchmal finden sich aber auch über Reisecommunities Menschen in der Umgebung, die das Gewünschte haben.

Ist Freilernen / Unschooling nicht ganz schön anstrengend, wenn du zwei/drei/vier Kinder selbst unterrichtest?

Nein. Denn wir unterrichten nicht. Wir leben unser Leben weiter so wie vor dem 6. Geburtstag. Sie lernen beim Unschooling genau so weiter, wie sie die ersten sechs Jahres ihres Lebens auch schon gelernt haben. Ja, ein Leben mit Kindern ist anstrengend. Doch wie bei allem haben wir die Wahl:

Ob wir meinen kämpfen zu müssen oder ob wir auch ein großes Stück Vertrauen in uns und unsere Kinder setzen wollen. Wir können uns dafür entscheiden, nicht die Beziehung zu unseren Kindern auf’s Spiel zu setzen. Eltern, die das tatsächlich tun, haben es schwer mit Kindern an deutschen Schulen. Ständig ecken sie an, weil sie nicht mehr bereit sind, den verlängerten Arm der Lehrkraft zu spielen und Gesetze bei sich zuhause durchzuboxen, hinter denen sie selbst nicht stehen. Auf Dauer ist die Belastung innerhalb der Familie, ausgelöst vom Schulsystem, anstrengender als ein Alltag mit der ganzen Familie ;).

Wie vereint ihr Unschooling / Freilernen mit eurer Karriere?

Je nachdem, wie man Karriere definiert, kann sich Unschooling in der eigenen Familie hinderlich auswirken auf die Karriere. Wenn nun also alle Bezugspersonen einen Arbeitsalltag außerhalb der Familie anstreben, so dass niemand zur Betreuung und für Hilfestellung vorhanden ist, so dürfte das Ziel mit den Kindern gemeinsam zu leben verfehlt sein.

Wir halten es für wichtig, das mindestens eine Bezugsperson den Kindern ständig zur Verfügung steht (entsprechend dem Alter und Fähigkeiten des Kindes angepasst natürlich). Ist das Ziel Unschooling für eine Familie groß genug, so wird sie Wege finden das Unschooling und die Karriere zu vereinen.

Gebt ihr Impulse „sich mal an den Tisch zu setzen“? Wie oft findet „begleitetes Lernen“ beim Freilernen / Unschooling statt? Lernt ihr auch mit Lehrplan?

Wir machen Angebote, die aber tatsächlich nur Angebote sind und von unseren Kindern auch als solche verstanden werden. Ein Angebot darf man ablehnen und der Anbietende weiß das und hat keinen Grund deshalb sein Verhalten zu ändern oder eingeschnappt zu sein. Diese „Impulse“ sind immer freiwillig und bedingungslos.

Wir wissen, dass lernen hauptsächlich nicht am Tisch stattfindet, sondern immer in unserem Alltag, unserem ganz normalen Leben. Lehrpläne haben wir deshalb keine. Natürlich bieten wir Begleitung oder Hilfestellung an, sollten wir den Eindruck haben, dass ein Kind dies grad annehmen mag oder eben aktiv selbst danach fragt.

Führen eure Kinder Hefte zu bestimmten Themen oder schreiben sich Gelerntes auf?

Aktuell eher selten. Manchmal gibt es den Wunsch Listen oder Sammlungen zu erstellen. Das wird dann gemeinsam oder auch alleine gemacht, aber haben diese meist im Nachhinein wenig Bedeutung für die Kids. Die Erstellung dieser ist für sie der eigentlich Sinn. Natürlich kann sich dies jederzeit und mit fortgeschrittenem Alter ändern.

Wie weit sind eure Kids im Vergleich zu Gleichaltrigen?

Eine gerne gestellte Frage, auch verdeckt als „In welcher Klasse wären eure Kinder jetzt?“ oder „Wie alt sind eure Kinder?“, nachdem gefragt wurde, ob sie schon lesen, schreiben und rechnen können, auftaucht.

Da wir wissen, dass unsere Kinder ganz anders lernen und dies absolut nicht vergleichbar ist mit dem wie Kinder im Schulsystem lernen, können wir darüber keine eindeutige Aussage machen. Würden wir gezwungenermaßen die Kenntnisse unserer Kids in Fächer einteilen, wären sie Gleichaltrigen in manchen Fächern weit voraus und in anderen hätten sie aus schulischer Sicht Nachholbedarf. Da das aber irrelevant ist für uns, stellen wir diesen Vergleich nicht an.

Was hat euch zum Freilernen bzw. Unschooling inspiriert?

Was uns zum Unschooling / Freilernen inspiriert hat, lest ihr in unserem Artikel Freilernen (Unschooling) – Weg in die Freiheit

Wo findet ihr (kostenloses) Lernmaterial?

Überall. Das Internet und das Leben draußen vor der Tür ist voll davon. Als Angebote haben wir ein paar „Lernapps“ wie „Anton“ oder „Fiete“ auf unseren Smartphones, die mal mehr und mal gar nicht genutzt werden.

Aber auch wir haben weitere Materialien immer als Angebote parat.

Welche, das seht ihr hier: Freilernen mit Material? Womit wir lernen.

Wie könnt ihr freilernen und dabei der Schulpflicht entgehen?

Wir sind auf Reisen gegangen mit unseren Kindern. Haben festen Wohnsitz gegen Abenteuer eingetauscht und haben Deutschland verlassen. Wie ihr damit aus der Schulpflicht kommt, könnt ihr hier nachlesen: Raus aus der Schulpflicht – jetzt reisen und auswandern ohne Schule.

Es gibt allerdings auch Familien, die zum Freilernen in Deutschland geblieben sind. Sollte das euer Plan sein, so schaut mal beim BVNL vorbei und holt euch die Hilfestellung, die ihr benötigt.

Wir wir die ganze Bürokratie wie Schulpflicht, Kindergeld und Finanzamt angegangen sind, bevor wir endlich auf Reisen gehen konnten, erzählen wir in unseren eBooks.

Zwischen Freiheit und Finanzamt

Zwischen Freiheit und Finanzamt

Freie Schulen bzw. Waldorfschulen als Alternative zum Freilernen?

Auch Freie Schulen unterstehen den deutschen Schulgesetzen der einzelnen Bundesländer. Sie sind nur so frei, wie es das jeweilige Schulgesetz zulässt. Auch auf diesen Schulen müssen letztendlich die kleinen Menschen bewertet und analysiert werden, in Kurven gepresst und dürfen nicht selbst entscheiden, ob jetzt der Zeitpunkt ist, um auszuruhen, Fußball zu spielen oder Lagerfeuer zu machen (um mal die womöglich liebsten Fächer, die ich schon auf solchen Stundenplänen lesen durfte, zu benennen).

In der Theorie oftmals allerdings schon, wenn man sich man wirklich toll klingende Konzepte durchliest. Kommt man aber in Kontakt mit der Praxis aus erster Hand, hören wir vermehrt auch anderes. Auch hier findet ein Großteil des Alltags aus Zwang außerhalb der Kernfamilie statt und auch hier gibt es oft nicht genug Personal, um ungesunde Gruppendynamiken zu erkennen und zu vermeiden. Für auf diesem Gebiet kompromissbereite Familien sicherlich im Einzelfall eine tolle Lösung.

Wie gehen wir mit Kritik innerhalb der Familie um?

Wir haben uns über die Jahre einen Ruf in unserer Familie erarbeitet, der dafür sorgt, dass unsere Familien nicht mehr allzu überrascht sind, wenn wir wieder mal alles anders machen müssen als sie es gewohnt sind. Anfangs haben wir uns noch zu Diskussionen und Erklärungen hinreißen lassen. Später, als wir merkten, dass das zu nichts führt, haben wir diese Energie gespart und unserer Familie Literatur und Dokumentationen empfohlen mit dem Angebot, danach gerne darüber zu sprechen.

Ein Teil der Familie hat dieses Angebot angenommen und steht seither vollkommen hinter unserer Entscheidung. Ein anderer Teil hat sich nicht weiter damit befasst und kommt auch nach vielen Jahren noch mit den immer selben Gedanken und Bedenken auf uns zu. Allerdings entscheiden wir, wie wir damit umgehen und stören uns nicht daran. Niemand muss alles gut finden, was wir machen.

Gibt’s Literatur für skeptische Großeltern oder Partner? Buchtipps?

Ja! Es gibt viele wunderbare Dokumentationen und Bücher übers Freilernen, aber eine ganz besondere möchte ich euch hier vorstellen. Es handelt sich um den Film „Alphabet“ und lässt u.a. auch Hirnforscher wie Gerald Hüther zu Wort kommen, um das ganze Thema „Lernen“ von der wissenschaftlichen Seite beleuchten.

alphabet - Der Film
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An Literaturempfehlungen von der Familie Stern über Klassiker von John Holt und Taylor Gatto und vielen weiteren:

André Stern

… und ich war nie in der Schule

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John Taylor Gatto

Verdummt nochmal

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Arno Stern

Wie man Kinderbilder nicht betrachten sollte

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John Holt

Aus schlauen Kindern werden Schüler

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Bildung in Freiheit

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Wie kleine Kinder schlau werden

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Gemischte Autoren

Geht’s auch ohne Schule?

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Das große Unschooling Handbuch

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Wir sind so frei

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Schulfrei – Lernen ohne Grenzen

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The Unschooling Unmanual

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Radical Unschooling

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Werdet ihr auch zum Unschooling bzw. Freilernen befragt oder habt ihr sogar selber Fragen? Stellt sie uns hier in den Kommentaren oder per Kontaktformular.

Freilernen mit Material? 24 Ideen zum Lernen

Freilernen mit Material? 24 Ideen zum Lernen

Eine Frage, die sich vermeintlich selbst widerspricht, ist die, welches Material wir zum Freilernen nutzen, um unseren Kindern rechnen, lesen und schreiben u.s.w. beizubringen. Doch wer bringt hier wem was bei?

Was Freilernen für uns bedeutet und wie es dazu kam, lest ihr hier.

Freilerner sind so verschieden wie es Sand am Meer gibt

Unter Freilernen gibt es ganz unterschiedliche Herangehensweisen. Rein von der Definition her ist das Freilernen mit dem Unschooling gleichzusetzen. Es geht um vom Kind selbstbestimmte Bildung. Trotz allem nutzen manche Freilerner auf Wunsch des Kindes Schulmaterialien, die sie wie beim Homeschooling durcharbeiten. Je nach Alter und Bedürfnissen schaffen sie sich selbstständig feste Zeiten zum Lernen, nehmen sich bestimmte Themen vor, die sie eventuell sogar in die gängigen Fächer einteilen. Wichtig ist, dass, wenn solche Strukturen gelebt werden, diese vom Freilerner selbst kommen und nicht von außen durch Druck aufgedrängt werden.

Unter den Begriff (Radical) Unschooling tummeln sich oft diejenigen, die kein spezielles Material nutzen, sondern die Situationen im Alltag nehmen, wie sie kommen. Sie erklären, wenn Fragen aufkommen oder suchen mit den Kindern gemeinsam nach Lösungen. Aus unserem Alltag kann ich bestätigen, dass es meist sehr viel mehr Fragen gibt als wir sofort Antworten darauf finden und so gibt es immer wieder Gründe gemeinsam Neues zu lernen.

Die meisten Freilerner, die wir bisher kennenlernen durften, stehen irgendwo zwischen diesen beiden Polen. Mal gibt es Phasen, in denen mehr Material verlangt wird und mal solche, in denen gar nichts gebraucht wird, was irgendwie Ähnlichkeit hätte mit gängigen Lernmaterialien.

Freilernen: Sind wir Homeschooler oder Unschooler?

Auch wenn wir stark in Richtung Unschooling tendieren, so haben wir doch gewisse Materialien da, die wir unseren Kindern zur Verfügung stellen. Sie haben diese zur freien Verfügung und können damit arbeiten, wann und wie lange sie möchten.
Einige dieser Materialien möchte ich euch vorstellen. Das eine oder andere wird euch sogar seltsam bekannt vorkommen und eher als „Spielzeug“ verbucht worden sein.

Wie lernen Kinder Lesen und Schreiben beim Freilernen?

Zum Lesenlernen benutzt unserer siebenjährige Tochter alles, was sie an Buchstaben in ihrer Umwelt findet. So liest sie beim Vorbeifahren Straßenschilder, Namen von Geschäften und was sie sonst noch so alles findet. Meist kommt dann ein „Mama! Da steht „Hotel“!“ vom der hinteren Sitzbank.

Sie dachte einige Zeit, dass Lesen einfach übelst schwer sein muss und traute sich an nichts heran. Als sie aber plötzlich Erfolgserlebnisse hatte, begann sie eifrig – meist für sich ganz heimlich – Worte zu entziffern. Bestens daran zu erkennen, dass sie angestrengt auf ein Wort starrt und sich ihre Lippen dabei bewegen. Dann der Begeisterungsschrei, wenn das, was sie soeben gelesen hat, für sie auch wirklich Sinn ergibt!

Es macht so Spaß meinen Kindern beim Spielen damit zuzusehen. Ganz besonders schätze ich dabei, dass die Motivation dafür aus ihnen selbst kommt. Viele der notgedrungenen Homeschooling Eltern* können wohl ein Lied davon singen, wie es ist, der verlängerte Arm der Lehrkraft zu sein. Auch die Auswirkung auf die Beziehung zu ihren Kindern sei hier nicht außer Acht gelassen.

*Ich bevorzuge eigentlich den Begriff Coronaschooling, weil es einen beträchtlichen Unterschied ausmacht, ob man als Eltern gezwungen wird, die Kinder selbst zu unterrichten oder ob man sich aus freien Stücken dazu entschieden hat. Zudem nehmen die Freiwilligen auch selbst Einfluss auf Dauer, Thema, Menge etc. und können normalerweise Möglichkeiten anbieten, Museen zu besuchen und anderen bildenden Aktivitäten nachzugehen.

Trotz allem haben unsere Kids diese Materialien zur freien Verfügung, die das Interesse an Buchstaben auch ganz nebenbei wecken:

ABC der Tiere Poster

Dieses Poster hängt schon seit unsere Große drei oder vier Jahre alt ist immer gut sichtbar im Raum oder Wohnmobil (im Wohnmobil in etwas kleiner). Sie schaut mittlerweile selbstständig nach, welche Buchstaben sie wohl gebrauchen kann, wenn sie ein Wort oder einen Namen schreiben mag oder wie ein Buchstabe klingt. Dies war von allen die lohnenswerteste Investition. 😀

Mini Lük von Westermann

Aus meiner Grundschulzeit habe ich im Keller meiner Eltern noch ein Mini Lük gefunden. Dann und wann wird begeistert damit gespielt und so das Gehör schult. Da meine Version aus den 1990ern stammt, habe ich euch eine möglichst ähnliche Version hier verlinkt. Der Westermann Verlag hat sich in der Zwischenzeit ganz viele neue und ansprechendere Hefte ausgedacht, die weit übers Lesen- und Rechnenlernen hinausgehen.

Tip Toi

Wen das Mini Lük nicht mehr hinter der Ofenbank hervorlockt, der kann sich vielleicht mehr für Tip Toi begeistern! Buchstaben richtig hören üben die Kinder, indem sie mit dem Tip Toi Spiel Buchstabenburg spielen. Hier spielen sie gegen einen Drachen um einen Schatz! Bei Magors Lesezauber helfen die Kinder dem Zauberer Magor einen Raben zu fangen und lernen dabei ganz beiläufig die ersten Buchstaben zu erkennen.

Das Tip Toi Buch Erste Buchstaben hat den Kids einen wunderbaren ersten Einstieg in die Welt der Buchstaben ermöglicht. Mit den vielen Minispielen und Erklärungen war dies genau das richtige, wenn sie sich ohne Mamas Augen in dieser Welt umschauen wollen.

Mildenberger

Als sich unsere Tochter nicht mehr mit einzelnen Buchstaben zufrieden gab, kam der konkrete Wunsch auf lesen zu lernen. Es ging ihr einfach nicht schnell genug, weshalb wir uns entschieden die Silbenfibel anzuschaffen. Mal liest sie darin mit Begeisterung ein paar Seiten, dann wieder monatelang gar nicht und will auch gar nichts davon wissen. Auch das gehört dazu, denn Kinder wissen selbst am Besten, wann ihre „Fenster geöffnet sind“ um etwas zu erfassen und wann etwas ganz anderes dran ist. Mit der Silbenfibel lernte sie nun einzelne Buchstaben zu Wörtern zusammenzufassen. Hierzu gibt es auch ein Schreiblerngang und Übungsheft.

Carlsen Verlag

Conni-Fans finden in den Silben-Geschichten zum Lesenlernen erste Geschichten zum Lesenlernen und in Übungsheften abwechslungsreiche Aufgaben. Mehr Rätselspaß und weniger langweilige Wiederholungen. Es handelt sich um eine ganze Reihe mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden, so dass es nicht zu langweilig oder überfordernd wird.

Rechnen lernen beim Freilernen? Wie geht das?

Gezählt wird bei uns alles. Krümel, Kaffeetassen, Dinosaurier, Legosteine… einfach alles. Ganz beiläufig wurden eins und eins zusammengezählt oder abgezogen. Freilernen macht z. B. super Spaß mit den Fiete Lernapps und die Bildschirmzeit wird auch gut genutzt. Als Eltern kann man sogar in Statistiken schauen und sieht genau, welche Thematik noch mehr Übung bedarf. Oder man lässt den Kids einfach ihren Spaß ;). Ein ganz simpler Zahlenstrahl und unsere zehn Finger dienen hier aber hauptsächlich zum Rechnen und so bildete sich mit der Zeit ein Verständnis zu Mengen und Größen bis hin zu unserem Geldsystem. Wenn unseren Kindern nach Rätseln ist, dann schauen sie aber trotzdem gern in unsere Materialen.

Abakus / Rechenschieber

Kein Witz! Die Dinger gibt’s noch immer und solange wir unsere Kinder nicht zwingen damit zu rechnen, spielen von ganz alleine mit großer Begeisterung mit Mengen. Bei der Auswahl ist mir persönlich wichtig, dass die Fünfer-Gruppen leicht zu erkennen sind, so wie es beim Abakus von Wissner der Fall ist. Aber auch ohne die Trennung, mit farblich ansprechenderer Gestaltung wie bei Kindgut, bleibt der Lerneffekt nicht aus!

Tip Toi

Wie ihr gemerkt habt, sind wir ziemliche Tip Toi Fans! Auch beim Zählen und Rechnen wird sich ein Tip Toi Stift geschnappt und los geht’s. Im Buch Erste Zahlen gibt’s wieder eine Menge Minispiele, ganz viel zum Zählen und eine Geburtstagsparty! Auch von Tip Toi gibt es weiterführende Bücher mit erhöhten Schwierigkeitsgraden, so dass es nie langweilig wird. Und das Beste: Sie lernen es einfach nebenbei mit Spaß. Spielen ist Lernen!

Mit dem Spiel Rechenspaß mit Taschengeld gehen die Kids bei uns einkaufen und kaufen sich mit ihrem Spielgeld die ganze Einkaufsliste hoch und runter. Irgendwann wurde ihnen das Spielgeld zu langweilig, deshalb benutzen wir meist echte Münzen. Der Zahlenraum bis 100 wird so ganz spielerisch verstanden. Auch für die jüngeren gibt’s ein einfaches Spiel: Heute gehen wir einkaufen!

Tessloff und Duden

Für alle Mal- und Knobelbegeisterten: Das Mathe-Malbuch. Malen nach Zahlen, aber mit kleinen Rechnungen, um die richtige Farbe „auszurechnen“. Wer lieber knobelt, findet in Die superschlauen Sudoku-Knacker noch mehr Rätsel- und Zahlenspaß ganz nebebei!

Andere Themengebiete?!

Auch beim Freilernen sind Rechnen und Schreiben sozusagen die Basics. Werkzeuge, die es sich lohnt zu benutzen und mit denen sich ganz neue Welten öffnen lassen. Die Welt lässt sich für uns nicht in Fächer einteilen, denn alles ist miteinander verwoben. Das eine bedingt das andere. Kochen kommt u.a. nicht aus ohne Mathematik, Lesen, Lebensmittelkunde, Hauswirtschaft und Chemie. Aus diesem Grund wird ganz viel bei uns „einfach so nebenbei“ gelernt, ohne dass wir gezielt etwas lernen wollen. Ein Verständnis für Zusammenhänge und Vorgänge entwickelt sich so von ganz alleine und erhält die Freude an Neuem.

Nutzen andere Familien auch Materialien zum Freilernen?

„Freilernen heißt bei uns, unsere Kinder lernen aus ihrem inneren Antrieb heraus, aus Begeisterung und in ihrem Tempo. Sie lernen zum Beispiel Lesen, Schreiben und Rechnen ganz natürlich, so wie sie auch Laufen, Sprechen und Fahrrad fahren gelernt haben. Es heißt auch, dass unsere Kinder mit Übungs- und Lernheften, Apps und vielen Bücher lernen. Sie lernen das, worauf sie gerade Lust haben. Natürlich findet Lernen nicht nur am Tisch statt, sondern ständig und oft ganz nebenbei. Im Alltag, im Kontakt mit anderen Menschen, auf Reisen und Ausflügen, durch Fragen und ganz wichtig durch Spielen. Lernen vom Leben.“
– Nicole & Robert

„Unser Sohn ist 6 und lernt was ihn interessiert. Dabei unterstützen wir ihn. Ob wir das so beibehalten, kommt ganz darauf an, wie wissbegierig er im Bereich lesen, rechnen und schreiben ist und wie entspannt ich dabei sein kann. Ansonsten wäre eine Alternative ein paar Mal die Woche Homeschooling zu machen oder eine Onlineschule zu engagieren. Wir werden sehen wie es sich entwickelt.“
– Anett & Patrick

Schulangst – Was soll das denn sein?

Schulangst – Was soll das denn sein?

Der Begriff Schulangst breitet sich langsam aus, insbesondere unter Eltern und Schulpsycholog*innen. Mir selbst kam der Begriff erst vor wenigen Jahren unter – lange nach meiner eigenen Schulzeit. Ich stellte fest, dass ich inhaltlich sehr viel damit anfangen kann und ich mein Erleben darin wiederfinde. Doch wovor haben die Betroffenen nun wirklich Angst? Doch nicht etwa vor der Schule? Was ist Schulangst?

Zunächst einmal kann eine Angst entstehen, wenn ich negative Erfahrungen gemacht habe. Ich wurde von einer Wespe gestochen und halte mich in Zukunft lieber fern von Wespen. Hier ist der Grund eindeutig.

Bei Schulangst ist der Grund nicht so eindeutig. Habe ich nun Angst vor der Schule, weil ich negative Erfahrungen innerhalb der Schule gemacht habe, z.B. durch Mobbing? Oder habe ich diese negativen Erfahrungen aufgrund der Schule gemacht, die überhaupt erst aus der Existenz der Schule und dem Drumherum entstanden sind, wie es heutzutage in Deutschland existiert? Und suggeriert das Pathologisieren dieser Ängste nicht auch, dass hier ein “Fehler im System” der Betroffenen vorliegt? Dass sie damit nicht als “normal” betrachtet werden, sondern als behandlungsbedürftig?

Nein, das Wort Schulangst gefällt mir gar nicht. Und doch möchte ich anhand meiner eigenen, sehr persönlichen Erfahrung berichten, was viel zu oft unter Schulangst verbucht wird:

Mein Werdegang ist von Abbrüchen gekennzeichnet. Ich habe zweimal(!) das Gymnasium geschmissen, zwei staatlich anerkannte und eine nicht staatlich anerkannte Ausbildung abgebrochen, meinen ersten Versuch das Abitur zu erlangen vorzeitig aufgegeben und interessanterweise (Danke für den Hinweis, Jobina Schenk!) auch die geplante Alleingeburt meines Sohnes nicht wie ich es wünschte beendet, dazu aber an anderer Stelle mehr. Warum bin ich eine Abbrecherin und ist das immer schlecht? Was hat dazu geführt?

Schulangst: Wie alles begann.

Ich war am liebsten zu Hause. Ich mochte gerne unter anderen Kindern sein, aber ich genoss auch die Zeit alleine in meinem Zimmer. Ich ging nicht sehr gerne in den Kindergarten, wollte immer direkt den Mittagstisch decken, denn das bedeutete, dass ich bald wieder abgeholt wurde. Abgeholt werden war das Ziel.

Schlechte Aussichten: noch zehn Jahre….

Irgendwann in der Grundschule wurde mir klar, dass ich noch viele Jahre dort werde sitzen müssen. Ich kann mich noch ziemlich genau an den Moment erinnern, als ich die Jahre zählte, die ich noch zur Schule gehen sollte und wie sich das dann in mir anfühlte: aussichtslos gefangen, ausgeliefert, unfrei und machtlos. Noch zehn Jahre zur Schule müssen – damals in der dritten Klasse – eine Ewigkeit für eine 8-jährige. Meine Mutter berichtete mir später einmal, dass ich auch ungefähr in der dritten Klasse anfing immer wieder über Bauchschmerzen zu klagen.

Bauchschmerzen aus psychosomatischer Sicht können durch psychische Belastungen wie zu viel Stress, Ängste, Überforderung, Trauer und ähnlichem entstehen. Leider war das zu der Zeit anscheinend noch niemandem in meinem Umfeld klar oder es wollte niemand sehen, weil es zumindest gefühlt keine Alternativen gab als meine Äußerungen zu ignorieren.

Über Wettbewerb und Bewertungen

Ich fühlte mich nicht nur dem Leistungsdruck einer Grundschule ausgesetzt, sondern gleichzeitig dem Wettbewerb um die besten Noten mit meinem älteren Bruder. Frei nach dem Motto: Wer ist klüger, intelligenter, gebildeter. Wettkämpfe verabscheue ich noch heute.
Klar, der Leistungsdruck an einer Grundschule mag nichts sein im Vergleich zu dem der weiterführenden Schulen. Für einen Menschen wie mich wirkte er damals schon entwürdigend, weil ich meine gesamte Person bewertet fühlte nach Richtig oder Falsch oder Eins bis Sechs. Ein Objekt auf dem Seziertisch. Auch damals schon fragte ich mich, wieso jemand es sich herausnehmen durfte über mich ein Urteil zu fällen, das diesen Einfluss auf mich und mein weiteres Leben haben darf.

Weiterführende Schulen: Bullying und Mobbing

Nach der Grundschule ging es auf’s örtliche Gymnasium. Nach weiteren zwei Jahren begann ich mich sozial aus dem Klassenverband auszuklinken. Alleine schon das alle zwei Jahre durchgeführte Durchwürfeln aller Gleichaltrigen in neue Klassenverbände brachte mich jedes Mal aus dem Konzept. Gerade war ich einigermaßen hereingewachsen in meine Klasse, wurde schon wieder alles auf die Grundmauern niedergerissen.

Ich entwickelte einen speziellen Kopfschmerz, den ich immer als „Würfel im Kopf“ beschrieb. Bei jeder Erschütterung flog dieser mit seinen spitzen Ecken durch meinen Kopf und bereitete mir so üble Kopfschmerzen, dass ich tagelang nicht aus dem Bett kam. Kein Arzt wollte oder konnte da irgendwas ernsthaft diagnostizieren. “Migräne” fiel ein paar Male. Der Vorwurf des „Simulierens“ wurde allerdings immer größer, da meine Fehltage und -stunden wuchsen.

Ich spürte die Hilflosigkeit meiner Eltern, die versuchten die Problematik zu verdrängen (meine Brüder zeigten eben nicht die gleichen Symptome) und spürte die fehlende Akzeptanz des Großteils meiner Mitschüler*innen aufgrund meiner Fehltage, meines Andersseins, was sie durch ausgrenzendes Verhalten – Bulying – offen zeigten. Diesem Verhalten zugrunde liegt laut Schulforscher Wolfgang Melzer das Schulklima, nicht jedoch bestimmte Täter- und Opferpersönlichkeiten.

Körperliche Auswirkungen durch Schulangst

So ging ich mich durch die Jahrgangsstufen bis ich Anfang der 11. Jahrgangsstufe endlich entschied, dass ich mich von der Schule abmelden wollte. Zu dem Zeitpunkt war ich kaum bis gar nicht mehr in der Lage morgens das Bett zu verlassen, da ich wie gelähmt aufwachte und nicht in der Lage war auch nur ins Badezimmer zu gehen, geschweige denn das Bett zu verlassen. Erst wenn ich mich bewusst entschieden hatte, dass ich heute nicht in die Schule gehen würde, wurden Bewegungen wieder möglich. Ich fühlte mich tatsächlich gefangen im eigenen Körper. Er machte einfach nicht mehr mit und diese Reaktion war – wie ich später herausfand – ein STOP-Ruf um mich vor schlimmerem zu bewahren.

Längerfristig hatte ich auch nach der Schule noch aufgrundessen viel mit Therapeuten zu tun bis ich letztendlich mit 25 Jahren fühlte, dass ich wieder klar kam.

Glück im Unglück

Mir war zu dem Zeitpunkt als ich entschied, die Schule abzubrechen, nicht bewusst, dass der Schulleiter des Gymnasiums mir einen riesigen Gefallen tat, indem er mich mit 16 Jahren von der Schule entließ. Anscheinend ohne meine Akte ans Schulamt zurückzusenden. Ich war zu dem Zeitpunkt noch schulpflichtig, wenn auch „nur“ berufsschulpflichtig, konnte und wollte aber bei meiner Abmeldung keine Folgeschule nachweisen. Trotzdem bekamen meine Eltern oder ich keine Bußgeldbescheide zugestellt wegen Nichterfüllung der Schulpflicht. Ich denke, mein damaliger Schulleiter hatte verstanden, dass es mir nur mehr schaden würde, wenn ich weiter zum Schulbesuch gezwungen würde und entließ mich folgenlos.

“Jugendliche Anpassungsstörung” – Therapieversuche

Schon während meiner Schulzeit mit gerade einmal 13 Jahren wurde ich das erste mal zu einer Psychologin gebracht. Denn das Problem war klar: ich. Dort war ich zweimal, wollte dann nicht mehr hin, da mir der Sinn nicht klar wurde. Ich sah mich ja nicht bewusst als krank oder falsch an. Mit 16 Jahren ging ich dann mehr oder weniger freiwillig in Therapie, weil ich wirklich dachte, dass etwas mit mir nicht stimme, wenn ich nicht wie andere Jugendliche zur Schule gehen konnte. Immerhin wurde mir jahrelang gezeigt, wie ich zu sein habe und vorgehalten wie ich nicht bin.

Es wurde eine „jugendliche Anpassungsstörung“ diagnostiziert, die mir nicht weiter benannt oder erklärt wurde. Ich war das Problem. Ich passe mich nicht an. Ich empfand sehr viel als ungerecht und unfair. Ich funktionierte schlichtweg nicht so, wie ich sollte, damit aus mir eine vollwertige, anständige Arbeitskraft wurde, die für Steuereinnahmen sorgte. Ich hinterfragte zu viel und stellte Regeln in Frage, die niemand sonst aus meinem Umfeld offen kritisierte oder sich dran zu stören schien. Ich bekam verschreibungspflichtige Medikamente, die dafür sorgten, dass mir kurzfristig alles etwas egaler wurde.

In der Zeit nach dem Schulabbruch und bis heute wurde und werde ich von fast allen meinen damaligen Mitschüler*innen gemieden. Es gibt einige ganz wenige Ausnahmen, die mir in dieser Zeit eine große Stütze waren, auch wenn sie damals nicht wussten, wie es in mir aussah.
Ein Kind, das von seinen Mitschüler*innen abgelehnt wird, hat zudem selten noch anderweitig viele Freunde und Bekannte. Aufgrund des Zeitvolumens, das es in der Schule verbringt, bleibt nicht viel Zeit, außerhalb der Schule Freundschaften zu schließen. Zu der Ablehnung kann sich also auch schnell Einsamkeit gesellen. Diese Schlussfolgerung bringt auch die Frage “Und was ist mit der Sozialisation?” mit sich, die beim Thema Freilernen häufig gestellt wird.

Was nicht gesehen wird, ist, dass es natürlich auch außerhalb der Schule genügend Möglichkeiten gibt, neue Freundschaften zu schließen. Sofern die Zeit dafür vorhanden ist. Und die hatte ich ja nun endlich durch den Schulabbruch und zudem das Glück, dass Internetforen, studiVZ und Facebook so stark am Wachsen waren, dass ich mich vor Input und neuen Kontakten kaum retten konnte. Endlich war ich in der Position, mir meine Freunde selbst auszusuchen und nicht mit denen mir durch den Klassenverband und mein Geburtsjahr zugeteilten Menschen vorlieb nehmen musste.

Dass aber nicht ich das Problem war, das fand ich leider erst sehr viel später raus. Es hätte mich vor sehr viel Leid bewahrt.

Diagnose Schulangst – was nun?

Schulangst war mir und meinem Umfeld damals noch kein Begriff und auch heute wird sie noch gerne mit einer abwinkenden Handbewegung abgetan, aber von anderen Seiten auch schon als pathologisch angesehen.

Schulangst wird diagnostiziert oder in den Raum geworfen, wenn ein junger Mensch Probleme in Bereichen der Schule hat. Dazu zählen nicht nur der Leistungsdruck, eine Bewertungsangst, sondern auch das soziale Umfeld wie etwa Bullying durch Mitschüler*innen und Lehrkräfte. Oftmals werden aber auch Probleme im familiären Umfeld herangezogen, um diese Diagnose zu untermauern. Wenn das passiert, werden Eltern und Betroffene oft damit alleine gelassen.

Solltet ihr in der Situation sein, dass bei euch oder euren Kindern Schulangst diagnostiziert wird oder wurde oder erkennt ihr euch in den diversen Definitionen wieder, zählt in erster Linie, meine ich, wie damit zuhause umgegangen wird. Ob man ernst genommen wird, ob man sich bedingungslos geliebt und gesehen fühlt oder ob man wie ich als „Simulantin“ oder ähnliches von Lehrkräften, Mitschüler*innen und sogar den eigenen Eltern abgetan wird. Versucht die Schwierigkeiten klar zu benennen und lasst euch niemals einreden, dass ihr falsch seid wie ihr seid.

Das Schulsystem: Ein zuutiefst krankes System…

Auf ein krankes System reagiert jedes Individuum anders. Manche werden empathielos, weil sie selbst keine Empathie erfahren haben. Andere kennen sich und ihre Emotionen nicht, weil sie diese nie leben durften, um einen Umgang mit ihnen zu erlernen und wieder andere werden körperlich krank als Ausdruck dieses kranken (Schul)-systems. Doch das sind alles nur Symptome und keine zu behandelnde Krankheit. Die Symptome verschwinden, wenn sich das System, das sie erst erschaffen hat, ins Positive verändert. Oder wenn ihr das System verlasst, weil Veränderung sonst nicht möglich ist.

Ich für meinen Teil fühlte mich permanent bevormundet und gedrängt zu Dingen, an denen ich kein Interesse hatte. Die „Angst“ vor der Bewertung, die regelrecht Empörung in mir hervorrief, ging so weit, dass ich am Ende immer wieder mal einen Eintrag mit „Leistungsverweigerung“ im Klassenbuch bekam, was ich mich allerdings erst in den höheren Klassenstufen riskieren traute. Wer nicht liefert, kann auch nicht wirklich bewertet werden. Das war die Logik dahinter und mein persönlicher Beginn aus dem Schulsystem auszusteigen.

Sich ausgrenzen und nicht dazugehören

Selbstverständlich war ich mit meinem neuen, nicht angepassten Verhalten einigen Lehrkräften ein noch größerer Dorn im Auge, obwohl ich bis dahin eher als zurückhaltend und reif für mein Alter galt. Ich grenzte mich so selber aus und wurde ausgegrenzt – ein fließender Übergang. In dieses System wollte ich nicht gehören.

Und ein bisschen bin ich auch froh darüber. Nicht nur ein bisschen. Denn so habe ich mir meine Natur erhalten, nicht einfach alles mitzumachen, sondern zu hinterfragen, immer wieder nachzuhaken und Dinge auch einfach sein zu lassen, wenn ich merkte, dass sie mir nicht gut taten. Ich kann sogar finanziell von dieser Denkweise leben, weil sie mich immer wieder zu neuen Ideen inspiriert und mein Denken mit jeder Idee noch freier und wilder wird! Das zu erkennen, war ein langer Prozess, benötigte viele Therapieversuche und viel Input anderer Menschen. Die damit verbundenen Schmerzen psychischer und auch physischer Art möchte ich trotz allem niemandem wünschen und schon gar nicht meinen eigenen Kindern.

Es mag nun einleuchten, dass wir uns um alternative Wege bemühen und den Weg des Freilernens wählen. Aber auch ohne diese sehr prägsamen Erfahrungen der Schulangst würde ich an ihm festhalten, sofern es meine Kinder möchten. Für ein respektvolles Miteinander ist die freie Wahl der Bildung aus meiner Sicht unerlässlich. Wollt auch ihr euren Kindern das Freilernen auf Reisen ermöglichen, wisst aber noch gar nicht, wie das funktionieren soll? Schaut mal in das große FAQ Unschooling / Freilernen rein!

Wenn ihr Eltern seid und Schulangst oder ähnliche Symptome bei euren Kindern bemerkt, bitte nehmt sie ernst! Hofft nicht darauf, dass sie einfach verschwinden, denn sie wachsen am besten, wenn sie ignoriert werden. Vielleicht nicht in den nächsten Jahren, aber vielleicht werden sie das Leben eurer Kinder auf ungeahnte Weise negativ beeinflussen. Seid ihr selber vielleicht auch davon betroffen (gewesen)?

Bitte schreibt mir, wenn ihr mögt, eure Geschichte zur Schulangst hier unten in den Kommentaren oder auch über das Kontaktformular.

Freilernen / Unschooling – Weg in die Freiheit

Freilernen / Unschooling – Weg in die Freiheit

Freilernen? Was ist das und wie kommt man auf sowas? Ungläubige Augen schauen mich an, wenn ich sage, dass unsere Kinder keine Schule besuchen. Hä? Wie geht das denn? Darf man das? Und überhaupt, wenn die kein Mathe können, wie sollen sie dann studieren? Diese und ähnliche Fragen diktieren den Gesprächsablauf. Nur wenige Menschen haben ein ernsthaftes Interesse an dem Warum zum Freilernen oder halten uns nicht direkt für religiös-motivierte Homeschooler. Der Rest steht sich selbst im Wege, um sich der darauf folgenden Antwort zu öffnen.

Ich spreche gerne über das Thema Freilernen, aber nicht mit jedem ungläubig dreinschauenden oder trollmäßig postenden Menschen in den sozialen Medien. Interessiert dich aber unser Warum tatsächlich, dann lies gerne weiter:

Was ist Freilernen aus unserer Sicht?

Kurz und knapp: Unter Freilernen verstehen wir selbstbestimmte und selbstorganisierte Bildung, die nicht von einer Institution wie z. B. der Schule ausgeht.

Bedeutet das, dass wir unsere Kids nun einfach vernachlässigen? Definitiv nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Als Freilernerfamilie übernehmen wir die Verantwortung für die Bildung unserer Kinder und geben diese nicht ab in fremde Hände fremder Menschen. Wir sind tief involviert in alle Lernprozesse, die in unseren Kindern stattfinden und entwickeln ein immer tieferes Verständnis dafür, wie lernen bzw. leben funktioniert. Dabei lassen wir uns von unseren Kindern und ihrer intrinsischen Motivation leiten und lernen ihnen das Vertrauen zu schenken, das wir uns für uns selbst damals gewünscht hätten.

„Wenn man es genau nimmt, ist „Unschooling“ eigentlich nur ein schicker Begriff für „Leben“ oder „nicht-institutionalisiertes Aufwachsen“. – Grace Llewellyn, Guerilla Learning

Freilernen Unschooling
„When you get down to it, unschooling is really just a fancy term for „life“ or „growing up uninstitutionalized.“ – Grace Llewellyn, Guerilla Learning

Welche Gründe haben uns zum Freilernen geführt?

In unserem Fall ist die Entscheidung zum Freilernen eine Mischung aus einer für uns nicht von der Hand zu weisenden Kritik an der Institution Schule und einer Reihe Überlegungen, die u. a. möglich wurden durch sehr persönlichen Erfahrungen, die ich euch u.a. auch im Beitrag zum Thema Schulangst näher bringen möchte. Somit wurde Freilernen für uns die logische Konsequenz aus unserem Ziel, einen respektvollen Umgang miteinander zu pflegen und unsere Kinder nicht zu Menschen verbiegen zu lassen, die sie gar nicht sein wollen.

Unser Ziel für unsere Kinder, das wir wohl mit allen Eltern gemein haben (nämlich glückliche, sich selbst und andere liebende Menschen zu bleiben), möchten wir u. a. durchs Freilernen erreichen. Wir möchten ihr Interesse an unserer Welt, ihren Spieldrang, ihre Neugier, Kreativität und ihre Wissbegierde nicht ersticken, wie es der Schulbesuch tagtäglich bei vielen Kindern in Deutschland aus unserer Sicht tut und auch schon mit uns getan hat.

In starre Rahmen gequetscht und von morgens bis abends bewertet, wie schnell und gut sie sich Themengebiete aneignen, die sie zu dem Zeitpunkt gar nicht bearbeiten möchten, dabei die Beziehung zu unseren Kindern aufs Spiel setzend, wenn wir als verlängerter Arm der Lehrkraft wirken sollen, ist für uns keine erstrebenswerte Aussicht beim Verfolgen unserer Ziele.

Der erste Kontakt

Als “Neuschwangere” tauchte ich in eine komplett neue Welt für mich ein. Plötzlich ging es an jeder Ecke um Verantwortung und Entscheidungen. Frauenarzt oder Hebamme? Schmerzmittel unter der Geburt oder keines? Will ich meine Kinder impfen? Ab wann in den Kindergarten oder überhaupt nicht? Stillen oder Flasche? Tragen oder Schieben?

Viele dieser Fragen hätte ich mir wohl nie gestellt, wenn ich nicht in ein Umfeld hineingerutscht wäre, das sich genau diese stellte. Und so hörte die Fragerei nicht plötzlich auf, sondern brachte mich noch während meiner ersten Schwangerschaft zu der Frage, wie ich mir die Schulzeit meines noch ungeborenen Kindes vorstellte. Schule oder Freilernen? Homeschooling oder gar Unschooling? Freie Schule oder Regelschule?

Da ich selbst kaum positive Erinnerungen an die Schulzeit hatte, war mir schnell klar, dass ich mich nach Alternativen umsehen muss. Ziemlich schnell stieß ich dabei nun auf die Begriffe Unschooling und das in Deutschland gebräuchlichere Freilernen.

Ich realisierte mit der Schwangerschaft und Geburt unseres ersten Kindes, dass Kinder mit allem geboren werden, was sie benötigen. Es fängt schon damit an, dass sie wissen, wo sie saugen müssen und was sie zu tun haben, um an die Milch zu kommen. Sie beobachten und ahmen alles nach, was die Umgebung ihnen bietet. So lernen sie bald sitzen, laufen und sprechen – alles ohne besondere schulisch geprägte Unterstützung, Hilfsmittel oder Programme.

Mit 3,5 Jahren kannte sich meine Tochter besser mit Dinosauriern aus, als ich es jemals tat. Seither entwickelt sie von ganz alleine ein Interesse an Buchstaben und Zahlen, dem Schreiben, Lesen und Rechnen. Meine Aufgabe war und ist es nur, ihre Fragen zu beantworten und sie mit den Quellen vertraut zu machen, aus denen sie mehr erfahren kann. Alles andere bringt sie mit: Interesse, Lerneifer, Motivation.

Andere Zeiten – andere Wege

Um uns herum veränderte sich die Welt in einem Tempo, dem aus meiner Sicht kein Lehrplan einer Schule folgen kann. Die Lehr- und Lernmaterialien, die ich in den 1990ern bis 2000ern besaß, entstammten nicht selten den 1970ern und 1980ern. Wie kann ich meine Kinder auf eine Zukunft vorbereiten, die noch nie so vollkommen ungewiss war, wie sie es heute ist und das mit Lehrmaterialien und den dazugehörigen Denkweisen von gestern?

Was wir nutzen? Diese Materialien nutzen wir zum Freilernen!

Ich bin der Meinung, dass andere Zeiten auch andere Herangehensweisen bedürfen.
Für meine Kinder möchte ich Zeit. Zeit um sie auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten. Hier sehe ich die Basis des Wissens nicht in auswendig Gelerntem, wieder vergessenen Fakten oder “Richtig oder Falsch” wie es in den meisten Schulen heutzutage noch immer selbstverständlich ist.

Als essentiell empfinde ich kritisches Hinterfragen aller Themen, selber Denken und nicht vorkauen lassen und natürlich das Bilden von Gemeinschaften, statt im Wettbewerb zueinander zu stehen. Auch unsere Erde, die Natur als Lebensgrundlage für uns alle, an erste Stelle zu setzen und vieles mehr darf hier nicht fehlen. Das alles kann keine Schule bieten und die Zeit ist uns zu kostbar, um sie an die heutigen Schulen zu verschwenden.

„Da wir nicht wissen können, welches Wissen in der Zukunft am meisten gebraucht wird, ist es sinnlos, zu versuchen, es im Voraus zu lehren. Stattdessen sollten wir versuchen, Menschen hervorzubringen, die das Lernen so sehr lieben und so gut lernen, dass sie in der Lage sein werden, alles zu lernen, was gelernt werden muss.“ – John Holt

Freilernen Unschooling
„Since we can’t know what knowledge will be most needed in the future, it is senseless to try to teach it in advance. Instead, we should try to turn out people who love learning so much and learn so well that they will be able to learn whatever needs to be learned.“ – John Holt

Schulkritik – Bildung in Massenproduktion?

Uns allen bekannt: Produkte, die in Masse produziert werden, sind nicht nur fast alle gleich, ihnen fehlt es auch an Qualität.

Neben unserem obigen Überlegungen, die eher durch unsere Wünsche für unsere Kinder und durch unsere persönlichen Erfahrungen gespeist sind, gibt es natürlich auch noch die Betrachtung gegen die Institution Schule.

Auch wenn ich viel wichtiger finde zu wissen, wofür man ist, anstatt wogegen, ermöglicht ein genauer Blick auf die Schule als Institution womöglich dem einen oder anderen eine neue Betrachtungsweise, so dass sich das „Für“ weiter entwickeln kann. Einige Punkte sorgten auch bei uns noch nach vielen Jahren der Auseinandersetzung mit der Thematik Freilernen für „Ja klar, logisch!“-Effekte.

Die Schulkritik im Sinne des Deschooling (schaut mal bei uns zum Thema Deschooling als Prozess rein) oder heutzutage Unschooling bzw. Freilernens entwickelte sich recht zügig in der Nachkriegszeit und brachte so einige neue Sichtweisen im Zuge der 68er-Bewegung auch in die breitere Masse.

Neben heutigen bekannten Namen wie die Familie Stern (Arno, Bertrand und André Stern), John Taylor Gatto, sowie der Neurobiologe und Autor Gerald Hüther, haben John Holt, Paul Goodman, Ian Lister, Everett Reimer und Ivan Illich wichtige Werke für alle Interessierten zu bieten. Ian Lister fasst in „The Challenge of Deschooling“ in 31 Punkten seine Kritik zusammen. Einige davon sind die Folgenden (Hervorhebungen durch fett und kursiv stammen von mir):

  • Schule verhindert Lernen, statt es zu fördern. Schulen sind weltfremd und machen die Welt nicht erfahrbar. Sie nehmen den Unterprivilegierten die Möglichkeit zur Kontrolle, ihr eigenes Lernen zu gestalten.
  • Schulen verfehlen, das zu lehren, was sie zu lehren vorgeben.
  • Die Fehler der Schule werden individualisiert und damit personalisiert; dabei liegt der Fehler im Schulsystem.
  • Wenn die Schule versagt, vergrößert sie sich. (Der braucht etwas..!)
  • Schule ist eine moderne Idee. In ihrer heutigen Form existiert sie seit dem 18. bzw. 19. Jahrhundert. Vielleicht ist die Schule nur eine Erscheinung in der Geschichte und verschwindet wieder in der Zukunft, wenn die Bedingungen sich verändern.
  • Die Schule ist ein politischer Akteur. Sie wird explizit vom geschriebenen Lehrplan und implizit vom „heimlichen Lehrplan“ („hidden curriculum“) dazu benutzt, um politisch zu erziehen – jeweils im Sinne dessen, der gerade die Macht im Staate hat, als Beispiel hierzu dient häufig das Dritte Reich. Außerdem werden die Eliten dazu erzogen zu „führen“, während die Mehrheit dazu erzogen wird, geführt zu werden.
  • Die Schule tritt als Lehrer für die Ökonomie auf. Die große Leistung im 19. Jahrhundert ist gewesen, die Menschen darauf vorzubereiten, die Leiden der harten, sich ständig wiederholenden Arbeit bis an ihr Lebensende zu ertragen. Die Schule erzieht zu Pünktlichkeit, Gehorsam, Fleiß, … (Protestantische Ethik)
  • Die Lehrer sind konservativ.
  • Die Kindheit ist eine neue Kreation.
  • Das „Schulalter“ ist ein verrücktes Konzept.
  • Paul Goodman und Ivan Illich verglichen Schulen, Gefängnisse, Hospitäler, Psychiatrien, Kasernen und die Kirche. Jede dieser Institutionen hat einen Aufseher, Vermittler und die Teilnahme ist Pflicht. Es besteht in jeder Institution ein Unterschied zwischen dem, was sie offiziell zu tun vorgeben, und dem, was die Mitarbeiter täglich verrichten. Was bringt die Schule in eine solch angreifbare Position? Schule wählt aus. Schulzeugnisse werden behandelt wie das Sakrament. Die Schule bietet ein Leben nach der Schule an – aber abhängig von der „Güte“ des Abschlusszeugnisses. Aber selbst ein Abschluss führt heute zur Akademikerarbeitslosigkeit. Die Versprechen der Schule sind falsch.
  • Es ist eine Illusion zu glauben, dass das Gelernte ein Resultat von Lernen in der Schule ist. James Herdton schreibt: „Niemand lernt etwas in der Schule, aber Mittelklassekinder lernen genügend woanders und geben dann vor, dass die Schule ihnen etwas beigebracht hat.“
  • Schule gibt vor zu lehren, wie man lernt, wie man mit Menschen umgeht (Toleranz) – aber nach Ivan Illich lehrt Schule hauptsächlich den heimlichen Lehrplan (hidden curriculum). Hilbert Meyer versteht unter hidden curriculum: Es geht „um die Einübung in hierarchisches Denken, in Leistungskonkurrenz und Normkonformität.“ Ivan Illich vergleicht in diesem Zusammenhang das heutige Schulsystem mit dem chinesischen Beamtenprüfungssystem. Dieses war über Jahrhunderte stabil. Hier wird Wissen als Tauschwert begriffen und nicht für eine Teilnahme der Individuen in seiner Kultur – Wissen als Gebrauchswert.
  • Zertifikate werden wie ein Pass und eine Kreditkarte wahrgenommen.
  • Weltweit haben die Schule bzw. die Schulbildung es nicht geschafft, die großen Ungleichheiten von Arm und Reich aufzuheben.
Freilernen Unschooling
„The ‚real world‘ that parents worry unschooled kids won’t be able to cope with is not the ‚real world‘ of the future, it’s one designed to churn out obedient workers and consumers. But times – and the economy – are changing.“ – Wendy Priesnitz

Die „reale Welt“, von der die Eltern befürchten, dass Freilerner sie nicht bewältigen können, ist nicht die „reale Welt“ der Zukunft, sondern eine, die darauf ausgelegt ist, gehorsame Arbeiter und Konsumenten hervorzubringen. Aber die Zeiten – und die Wirtschaft – ändern sich.“ – Wendy Priesnitz

Wollen wir wirklich diese Produktion an Arbeitern en masse auf Kosten der Leben und des Glücks unserer eigenen Kinder?

Unsere Kinder sollen die Wahl haben sich so zu bilden, wie sie es wünschen und so bleiben sie die Freilerner, als die sie geboren wurden bis sie sich anders entscheiden.

Ich wette, es schwirren jetzt ganz viele Fragen im Kopf umher, die dringend beantwortet werden wollen. Hüpf mal rüber in das große FAQ Unschooling / Freilernen, wo wir die gängigsten Fragen beantworten. Deine Frage ist nicht dabei? Schreib sie in die Kommentare!

Freilernen und Homeschooling bei anderen Familien?

„Also bei uns gilt das Motto spielen ist lernen. Spezielle Dinge wie Buchstaben, malen, schreiben, lesen, basteln etc. machen wir bei Interesse des Kindes.“
– Lisa & Eugen

„Ich lege Wert darauf, dass die Kinder Basics wie Deutsch und Mathe lernen, zwinge sie hierbei jedoch zu nichts. Stattdessen hat es bisher sehr gut funktioniert und auch völlig ausgereicht, die Zeitfenster zu nutzen, in denen die Kinder ein natürliches Interesse an den Themen gezeigt haben. Auch spielerisch, indem sie zum Beispiel selbstgemachte Limonade verkauft haben, ergeben sich immer wieder schöne Gelegenheiten zum Üben – vom Schreiben des Preisschildes über die Kalkulation des Verkaufspreises bis hin zum gerechten Aufteilen des Gewinns unter allen Beteiligten.“
– Anna